Erzwungen und eingeschränkt: Mobilität im Exil

Erzwungen und eingeschränkt. Mobilität im Exil

Veranstalter
Gesellschaft für Exilforschung e. V.; Schweizerisches Literaturarchiv; nccr - on the move; Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien; Chaire d'histoire contemporaine der Universität Neuchâtel
PLZ
2000 / 3003
Ort
Neuchâtel / Bern
Land
Switzerland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
06.09.2024 - 07.09.2024
Deadline
01.03.2024
Von
Ramon Wiederkehr, Institut d'histoire, Université de Neuchâtel

Erzwungen und eingeschränkt: Mobilität im Exil

Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung e.V. in Neuchâtel und Bern vom 6. bis 7. September 2024 in Kooperation mit dem Schweizerischen Literaturarchiv (SLA), dem nccr on the move, dem Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM) und dem Chaire d’histoire contemporaine der Universität Neuchâtel

Forced and Limited: Mobility in Exile

Annual conference of the Gesellschaft für Exilforschung e.V. in Neuchâtel and Bern from 6 to 7 September 2024 in cooperation with the Swiss Literary Archives (SLA), the nccr “on the move”, the Swiss Forum for Migration and Population Studies (SFM) and the Chaire d'histoire contemporaine of the University of Neuchâtel

Erzwungen und eingeschränkt. Mobilität im Exil

In der Migrationsgeschichte ist schon seit längerem darauf aufmerksam gemacht worden, dass Migration und Mobilität nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel menschlichen Verhaltens ausmachen. Das neue Verständnis von Migration als anthropologische Konstante hat zugleich dazu geführt, dass der Forschungsfokus lange auf der Bewegung, der Grenzüberschreitung, oder dem Fluchtprozess lag. Gerade die Exilforschung hat dagegen verschiedentlich auf die eingeschränkte Mobilität von exilierten Menschen aufmerksam gemacht, die in Geschichte und Gegenwart mit staatlichen Instrumenten konfrontiert sind, welche sie physisch, mental oder kreativ ausbremsen und einschränken, sei es durch bürokratische Hindernisse (z.B. bei der Visabeschaffung), sei es durch Ausreise- und Arbeitsverbot oder durch Internierung. Diese Tagung strebt an, die Ambivalenz und Gleichzeitigkeit von Mobilität und Immobilität im Kontext von Exil näher zu beleuchten und dabei die Migrations-, Flucht-, und Exilforschung zum interdisziplinären Nachdenken einzuladen.

Das Begriffspaar der (Im-)Mobilität erweist sich deshalb als nützlich, weil es den Blick über die erstmalige Ankunft im Exilland hinaus erweitert, und Erfahrungsebenen einzufangen vermag, die trotz (oder gerade durch) die Exilsituation auch immer von Bewegungslosigkeit, Unterbrechung, Ziellosigkeit, Isolation und Stagnation geprägt sind. Diese Ambivalenz kann sich auf verschiedene Arten äussern, die über die physische Komponente hinausgehen. Exil und Transit sind in Kunst, Literatur und Wissenschaft immer wieder mit einem Zustand des Dazwischenseins charakterisiert worden, sei es geographisch, literarisch, politisch oder emotional. Nicht umsonst etwa findet sich die Metapher des Wartesaals oft im Kontext von Exil, wie in der Wartesaal-Trilogie von Lion Feuchtwanger, aber auch in der Geschichte zu den Displaced Persons der unmittelbaren Nachkriegszeit (vgl. Königseder und Wetzel 1994). Neben personenbezogener Mobilität ist der Begriff der Mobilität darüber hinaus auf die buchstäbliche und metaphorische Bewegung von Ideen, Texten oder Objekten anwendbar (vgl. Greenblatt 2010).

Seine umfassende Bedeutung ruft aber auch die Frage nach dem Unterschied zwischen Migration, Mobilität, Flucht und Vertreibung hervor. Nach Edward Said schwingt beim Wort „Flüchtling“ immer das Bild einer konfusen Masse mit, während „Exil” dagegen einen „Hauch von Einsamkeit und Spiritualität” mitträgt (vgl. Said 2000). Was ist der analytische Erkenntnisgewinn, wenn diese (und weitere) Phänomene unter einem Schirm betrachtet werden und besteht nicht die Gefahr, die kosmopolitische Intellektuelle mit dem namenlosen Vertriebenen gleichzusetzen?

Die Ambivalenz der erzwungenen und limitierten Mobilität im Exil in all seinen Ausprägungen steht im Zentrum der Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung 2024, die in diesem Jahr in Bern und Neuchâtel in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Literaturarchiv (SLA), dem nccr „on the move“, dem Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM), und dem Chaire d’histoire contemporaine der Universität Neuchâtel stattfindet. Mögliche Beiträge und Themenfelder, die im Rahmen von Fallstudien ausgeleuchtet werden könnten, sind unter anderem:
- Das Spannungsfeld zwischen (Im-)Mobilität und Transit in Literatur und Kunst, in politischen Schriften oder in Selbstzeugnissen von exilierten Menschen
- Das Warten im Exil bzw. das Exil als Wartesaal: Erfahrungen und Repräsentationen (etwa in Film, Literatur und Kunst)
- Die Mobilität von Geflüchteten jenseits der Ausreise-/Ankunftsdualität
- Narrative und Diskurse der (Im-)Mobilität
- Geflüchtete in Grenzsituationen: Sinnstiftung und Herstellung von Agency in krisenhaften Zeiten
- Praktiken der Fluchtmobilität: trampen, fliegen, fahren, laufen, schwimmen
- Orte der (Im-)Mobilität (z.B. Flüchtlingslager, Grenzübergänge)
- Migration, Mobilität, Flucht und Vertreibung als Untersuchungskategorien
- Praktiken der Immobilisierung durch nationale und internationale Flüchtlingsregime
- Die Zirkulation und Zensur von Flüchtlingswissen in Briefen, Zeitungen, und Periodika
- Wissen als kulturelles Kapital im Migrationsprozess

Willkommen sind Vorträge von ca. 25 Minuten aus allen Disziplinen in englischer oder deutscher Sprache. Die Organisator:innen bemühen sich um die Finanzierung für Anfahrt und Unterkunft. Die Organisator:innen sind im Rahmen der Möglichkeiten offen für die Umsetzung alternativer Präsentationsformen, die im Proposal näher zu beschreiben wären. Abstracts (max. 1.500 Zeichen) von Vorschlägen für Beiträge werden mit einem kurzen CV (bitte in einer einzigen Datei) bis zum 01.03.2024 erbeten an folgende Adresse: ramon.wiederkehr@unine.ch.

Im Vorfeld der Tagung (5.9.2024) findet wie jedes Jahr ein thematisch offener Workshop für Doktorierende statt. Eine Ausschreibung erfolgt Anfang 2024 separat.

Forced and Limited: Mobility in Exile

In migration history, attention has long been drawn to the fact that migration and mobility are not the exception but the rule of human behaviour. The understanding of migration as an anthropological constant has also meant that the focus of research has for a long time centred on movement, the crossing of borders or the process of fleeing and migrating. Exilforschung, on the other hand, has repeatedly drawn attention to the restricted mobility of people in exile, who in past and present are confronted by instruments of the state that slow them down and restrict them physically, mentally or creatively, be it through bureaucratic obstacles (e.g. in obtaining visas), be it through travel and work bans or internment. This conference aims to shed light on the ambivalence and simultaneity of mobility and immobility in the context of exile and to invite migration, refugee and exile studies to engage in interdisciplinary reflection.

The notion of (im)mobility proves to be useful in that it expands the view beyond the initial arrival in a country of exile and is able to capture levels of experience that, despite (or precisely because of) one's state of exile, are always also characterised by immobility, interruption, aimlessness, isolation and stagnation. This ambivalence can manifest itself in various ways that go beyond the physical component. Exile and transit have repeatedly been characterised in art, literature and science as a state of being in-between, be it geographically, literarily, politically or emotionally. It is no coincidence that the metaphor of the waiting room is often used in the context of exile, as in Lion Feuchtwanger's Wartesaal-Trilogie, but also in the history of displaced persons in the immediate post-war period (cf. Königseder and Wetzel 1994). In addition to the mobility of people, the concept can furthermore be applied to the literal and metaphorical movement of ideas, texts or objects (cf. Greenblatt 2010).

However, its comprehensive meaning also raises the question of the difference between migration, mobility, flight and displacement. According to Edward Said, the word "refugee" invariably conjures up the image of confused masses, whereas "exile" carries with it "a touch of solitude and spirituality." (cf. Said 2000). What is the analytical gain when these (and other) phenomena are considered under one umbrella and is there not a danger of equating the cosmopolitan intellectual with the nameless displaced individual?

The ambivalence of forced and limited mobility in exile in all its forms is at the centre of the annual conference of the Society for Exil Studies / Gesellschaft für Exilforschung in 2024, which is being held this year in Bern and Neuchâtel in collaboration with the Swiss Literary Archives (SLA), the nccr "on the move", the Swiss Forum for Migration and Population Studies (SFM), and the Chaire d'histoire contemporaine of the University of Neuchâtel. Possible contributions and topics to be explored in case studies include:
- The tension between (im)mobility and transit in literature and art, in political writings or in the testimonies of people in exile
- Waiting in exile or exile as a waiting room: experiences and representations (for example in film, literature and art)
- The mobility of refugees beyond the departure/arrival duality
- Narratives and discourses of (im)mobility
- Refugees in border situations: Creating meaning and agency in times of crisis
- Practices of refugee mobility: hitchhiking, flying, driving, walking, swimming
- Places of (im)mobility (e.g. refugee camps, border crossings)
- Migration, mobility, flight and displacement as research categories
- Practices of immobilisation by national and international refugee regimes
- The circulation and censorship of refugee knowledge in letters, newspapers and periodicals
- Knowledge as cultural capital in the migration process

We welcome presentations of approx. 25 minutes in English or German from all disciplines. The organisers will endeavour to provide funding for travel and accommodation. As far as possible, the organisers are open to the implementation of alternative forms of presentation, which should be described in more detail in the proposal. Abstracts (max. 1,500 characters) of proposals for contributions are requested with a short CV (please in a single file) by 01.03.2024 to the following email address: ramon.wiederkehr@unine.ch.

As in previous years, a thematically open workshop for doctoral students will be held in the run-up to the conference (5 September 2024). A call for papers will be issued separately at the beginning of 2024.

https://www.exilforschung.de